Archiv für Oktober, 2012

In Spanien, Großbritannien oder Belgien streben Regionen in der Krise immer mehr nach Unabhängigkeit. Sie wollen ihren Reichtum nicht mehr teilen.

Die Wirtschaftskrise reißt alte Wunden innerhalb der EU-Länder wieder auf: Immer mehr – überwiegend wohlhabende – Regionen streben nach kompletter oder teilweiser Unabhängigkeit von ihren krisengebeutelten Staaten. Zwar haben die einzelnen Separatistenparteien sehr unterschiedliche Geschichten und politische Ausrichtung, doch ihre Versprechen ähneln einander: Neben Selbstbestimmung basierend auf regionaler und sprachlicher Identität geloben sie mehr Wohlstand durch Selbstverwaltung.

So werden vermutlich bei den baskischen Regionalwahlen am Sonntag die Nationalisten mit ihrer Forderung nach mehr Wirtschaftsautonomie die regierenden Sozialisten ablösen. Ebenso wie Basken haben auch Katalanen, Flamen, Schotten oder Südtiroler das Gefühl, zu viel nach Madrid, Brüssel, London oder Rom zu zahlen und zu wenig dafür zurückzubekommen. Mit Parolen wie „Die Flamen haben es satt, wie Milchkühe gemolken zu werden“ gelang dem flämischen Separatistenchef Bart de Wever ein Erdrutschsieg bei Wahlen in Belgien.

Vieles spricht dagegen, dass die Bildung neuer Staaten ins Wirtschaftsparadies führt: Der katalanische Unternehmerverband warnt, dass bei einer Sezession größere Firmen abziehen könnten – aus Angst vor einer Isolierung Kataloniens. Flämische Nationalisten wiederum übersehen gern, dass sie im Fall einer Spaltung einen Großteil der belgischen Staatsschulden erben würden.

Der Trend zur Kirchturmpolitik

Es sind irrationale Gründe, die Separatisten Aufwind geben. In der Krise machen sie Hoffnung auf einen radikalen Neustart. Kirchturmpolitik – die Glorifizierung des Provinziellen – vermittelt zudem das Gefühl von Sicherheit.

Paradoxerweise befürworten Nationalisten eine starke EU – freilich mit mächtigen Regionen. Separatisten in Schottland, Flandern und Katalonien könnten sich vorstellen, ihre Außen- und Verteidigungspolitik Brüssel zu überlassen. Schottische Nationalisten wünschen sich sogar den Euro.

Im Überblick:

  • Basken: Baskische Rezepte gegen Krise

Die gemäßigten baskischen Nationalisten (PNV) werden laut Umfragen das autonome Baskenland ab Sonntag wieder regieren. Geschickt verspricht PNV-Kandidat Inigo Urkullu, mit „baskischen Lösungen“ den Weg aus der Wirtschaftskrise zu finden: Er fordert mehr Wirtschaftsautonomie für die wohlhabende Region, ab 2015 will er über eine Abspaltung von Spanien abstimmen lassen. Fast 50Jahre lang hat die Terrorgruppe ETA für Unabhängigkeit gekämpft: Bei etwa 4000 Anschlägen starben mehr als 830 Menschen.

  • Katalanen: Mehrheit will eigenen Staat

74 Prozent der Katalanen sind laut jüngsten Umfragen für die Bildung eines eigenen Staates– und darüber will der katalanische Ministerpräsident Artur Más seine Landsleute noch heuer abstimmen lassen. Geschickt macht der Nationalisten-Chef die Zentralregierung für die Wirtschaftsmisere verantwortlich, die auch die reichste Region des Landes plagt. Die Katalanen kämpfen seit Jahrzehnten für mehr Autonomie und haben bereits viel erreicht: So ist Katalanisch, neben Spanisch, als offizielle Sprache anerkannt.

  • Flamen: Loslösung vom armen Süden

Die flämisch-nationalistische Partei N-VA ist die stärkste Kraft im flämischen Norden Belgiens. Die Nationalisten fordern die Loslösung des wirtschaftlich starken Nordens von der ökonomisch schwachen – frankofonen – Wallonie im Süden. „Die Wallonen kosten jeden Flamen 900 Euro im Jahr“, lautet ihre populistische Parole. Von der Brüsseler Zentralregierung fordert die Flamenpartei nun unter ihrem Chef Bart De Wever, dass sie Belgien „umgehend“ in eine Konföderation umwandle.

  • Schotten: Abstimmung über Unabhängigkeit

Die Schotten werden im Herbst 2014 über ihre Unabhängigkeit abstimmen – das Referendum ist Ergebnis der Regionalwahl 2011, bei der die Schottische Nationalpartei (SNP) die Mehrheit errungen hat. Laut Umfragen will sich derzeit allerdings nur eine Minderheit von London trennen. Stimmung für die Abspaltung macht die SNP mit dem Argument, dass Milliardeneinnahmen aus der Verarbeitung des Nordsee-Öls nach London fließen würden. Und sie verspricht, dass die Schotten den Euro einführen werden.

Originalartikel Die Presse

Glaubt man den Mainstream-Medien, läuft es auf ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Bundeskanzlerin Merkel und dem Herausforderer Peer Steinbrück hinaus.

Zwei Sachen verbindet die vermeintlichen Gegner miteinander: Zum einen waren sie nach der Bundestagswahl im Jahre 2005 Koalitionspartner und zum anderen gehören sie dem einflussreichen Club der Bilderberger an. (Mehrfach habe ich über die geheimnisumwobenen Bilderberger berichtet. Kostenlose Newsletteranmeldung unter: http://www.macht-steuert-wissen.de/kontakt.php?newsletter=1 ) Die Koalition 2005 hatte das Ergebnis, dass Peer Steinbrück Bundesfinanzminister und das Ex-Kreisleitungsmitglied und Sekretärin für Agitation und Propaganda – Bundeskanzlerin wurde.

Da die meisten Politiker ohnehin nach dem Motto leben: Nur das Erzählte reicht, nicht das Erreichte zählt, kann sich das Wahlvolk wieder auf viele Versprechungen einstellen. Genauso lief es auch vor der Bundestagswahl 2005 ab. Das eindeutige Wahlversprechen der  Großparteien war damals: „Es wird keine Steuererhöhungen geben!“

Tatsächlich kam es zu der größten Steuerreform in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands. Die Mehrwertsteuer machte einen historischen Sprung von 16 auf 19 %. Das Handelblatt schrieb damals: „Eine große Koalition der Diebe will uns richtig abkassieren.“ Und die Bild-Zeitung schrieb am 08.11.2005 als Titelstory: „Ihr Steuerlügner! – So schamlos wurden wir Wähler noch nie belogen.“

Angela Merkel sprach vor der Wahl 2005: „Die Menschen brauchen mehr Netto von ihrem Brutto, damit sie sich mehr Eigenverantwortung leisten können. Weniger Steuern, weniger Sozialabgaben!“ Tatsächlich hat die FAZ vom 17.08.2008 in ihrem Artikel „Die Abgabenlüge der großen Koalition“ festgestellt, dass im Wahljahr 2009 die Bürger stärker geschröpft wurden, denn je.

Jetzt soll aber alles für die Bevölkerung anders und besser werden mit dem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Er präsentiert sich selbst als furchtloser Ritter im Kampf gegen das Finanzmarkt-Monster. Dass das rein gar nichts mit seinen tatsächlichen Aktionen im Krisenherbst 2008 zu tun, schrieb der Tagesspiegel vom 24.09.2012. Am 25.09.2008, zehn Tage nach der Lehmann-Pleite, verkündete er im Bundestag ein Bankenrettungsprogramm wie in den USA sein in Deutschland „nicht notwendig“. Nur einen Tag später begannen die Verhandlungen für den Freikauf der HRE für 100 Milliarden Euro, obwohl er im Bundestag, als er für das Rettungspaket warb, noch gesagt hatte, er denke nicht im Traum daran, die HRE zu verstaatlichen. Die Berichte der Bankenaufsicht für das Ministerium, waren voller Warnungen, mit anderen Worten, Peer Steinbrück als verantwortlicher Minister muss darüber informiert gewesen sein.

Dank seiner betriebenen Gesetzgebung „hantiert bis heute eine ungewählte Schattenregierung namens Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung mit einem 500-Milliarden-Euro-Topf, ohne den Bundestag auch nur konsultieren zu müssen“. (Tagesspiegel vom 24.09.2012)

Dass Steinbrück der gewollte Kanzlerkandidat ist, wurde aufgrund seiner Teilnahme am Bilderberger Treffen 2011, bereits von mir in meinem Newsletter vom 30.05.2012 (http://www.wallstreet-online.de/nachricht/4934606-eilmeldung-bilderbergertreffen-31-05-2012-03-06-2012-usa) prophezeit. Angela Merkel war nur zwei Wochen vor der überraschenden Ankündigung, im Herbst 2005 Neuwahlen abzuhalten, Gast beim Bilderberger-Treffen in Rottach-Egern und wurde im gleichen Jahr Kanzlerin.

Offiziell kann der Wähler sich zwischen CDU-Merkel und SPD-Steinbrück entscheiden. In Wirklichkeit wird gewählt, ob Bilderberger-Interessenvertreter-Merkel oder Bilderberger-Interessenvertreter-Steinbrück Bundeskanzler wird.

Es ist ein bisschen wie bei einer Theatervorstellung. Die Schauspieler auf der Bühne spielen ihre Rolle und unterscheiden sich für das Publikum optisch nur durch Farben (rot, gelb, grün, schwarz). Wenn sie die Rolle gut spielen, schaffen sie es, das Publikum emotional in die Handlung zu verwickeln, so dass es passieren kann, dass sich das Publikum aufgrund des Gesehenen, polarisiert. Es kommt zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Zuschauern, ob gelb besser ist als rot oder schwarz besser als grün.

Es gibt jedoch einen, dem es völlig egal ist, für wen die einzelnen Zuschauer Partei ergreifen – den Eigentümer des Theaters, da alle Zuschauer ihren Eintritt entrichtet haben. Er bezahlt mit diesen Einnahmen die Akteure auf der Bühne, die nach einem Drehbuch ihre vorgegebene Rolle zu spielen haben.

Die Frage, die sich stellt ist, wer schreibt das Drehbuch für den Ex-Finanzminister und die ehemalige Sekretärin für Agitation und Propaganda?

„Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann wären sie verboten.“

Originalartikel Wall Street Online

Unter Jacques Santer trat die gesamte Kommission zurück

Veröffentlicht: Oktober 30, 2012 in Uncategorized
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Ein Korruptionsskandal hatte 1999 weitgehende Folgen. Eine davon war die Gründung der Antikorruptionsbehörde Olaf.

In den späten Neunzigerjahren waren dem Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments Unregelmäßigkeiten in der EU-Kommission aufgefallen. Es folgten intensive Untersuchungen, bei denen der österreichische Europaabgeordnete Herbert Bösch (SPÖ) eine zentrale Rolle spielte. Anfang 1999 war dann klar, dass eine der Kommissarinnen, die Französin Edith Cresson, ihrem Zahnarzt ein einträgliches Nebengeschäft als Berater der europäischen Behörde zugeschanzt hatte. Darüber hinaus gab es weitere eigenartige Abrechnungen externer Mitarbeiter. Kommissionspräsident Jacques Santer kam einem Misstrauensantrag im Europaparlament zuvor und trat gemeinsam mit seinem gesamten Gremium am 15. März 1999 zurück.

Der Fall hatte nicht nur politisch weitgehende Folgen, sondern auch für die interne Haushaltspolitik und die Kontrolle der EU-Institutionen. Denn auf Drängen des Europaparlaments wurde eine neue unabhängige Antikorruptionsbehörde eingerichtet. Sie folgte der bisherigen Institution Uclaf, die sich als ineffizient herausgestellt hatte. Unter ihrem Namen „Olaf“ (Office Européen de Lutte Anti-Fraude) untersucht die neue Behörde seit April 1999 hunderte Verdachtsfälle, in denen EU-Gelder möglicherweise falsch verwendet wurden. Die Olaf-Ermittler dürfen Hausdurchsuchungen vornehmen, sie dürfen aber selbst keine Strafen oder Konsequenzen für ein Fehlverhalten festlegen. Dafür müssen sie die Fälle den jeweils zuständigen nationalen Justizbehörden übertragen.

Dass Olaf ein besonders Augenmerk auf den Tabakhandel richtet und damit auch die Arbeit des zurückgetretenen Kommissars John Dalli kontrollierte, ist kein Zufall. Seit Jahren geht die Behörde dem Tabakschmuggel nach und schreckt auch vor Untersuchungen bei großen Tabakkonzernen nicht zurück.

Als die Antikorruptionsbehörde 2003 Schwarzkonten beim Statistischen Amt der EU (Eurostat) ausfindig machte, kam die damalige Prodi-Kommission in Bedrängnis. Zu einem Rücktritt einzelner Kommissare oder gar des gesamten Gremiums kam es nicht, obwohl es Hinweise gab, dass die Kommission während der Untersuchungen Druck auf Olaf ausgeübt hatte.

Originalartikel Die Presse

Der Großteil der Hilfszahlungen soll griechischen Banken das Überleben sichern. Das ist eine direkte Folge des Schuldenschnitts aus dem Februar dieses Jahres.

Das Geld wird fließen, so viel ist bereits klar. Denn auch wenn sich die Troika mit der Regierung in Athen noch nicht in allen Punkten einig ist, dürfte der Auszahlung der von Griechenland seit Monaten erwarteten Tranche in Höhe von 31,5 Milliarden Euro nichts mehr im Wege stehen. Das machte nicht zuletzt der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble klar, als er zuletzt einen Staatsbankrott Griechenlands kategorisch ausschloss.

Doch genau zu diesem würde es kommen, leisteten die EU-Geldgeber ihre Hilfszahlung nicht. So braucht Griechenland rund eine halbe Milliarde des Hilfsgeldes dafür, sein Primärdefizit zu decken (siehe Grafik). Dieses ist die Differenz zwischen den Steuereinnahmen und den Staatsausgaben ohne Zinsen. Das bedeutet also, dass Griechenland zurzeit nicht einmal seine Beamtengehälter und Pensionen aus den laufenden Einnahmen zahlen kann.

Ein Primärdefizit ist für einen Staat zwar immer ein äußerst bedrohliches Signal, von den Summen her für Griechenland jedoch ein untergeordnetes Problem, das ab 2013 zudem auch wieder zu einem Überschuss werden soll. Wesentlich gravierender machen sich da bereits die Zinszahlungen für die Altschulden bemerkbar, in die mit 1,3 Milliarden Euro dreimal so viel Geld fließt.

Folgen des Schuldenschnitts

Den mit Abstand größten Brocken macht jedoch die Rekapitalisierung der griechischen Banken aus, für die über 20 Milliarden Euro der Hilfsgelder verwendet werden sollen. Das ist eine direkte Folge des Schuldenschnitts aus dem Februar dieses Jahres. Damals verzichtete der überwiegende Teil der privaten Gläubiger Griechenlands mehr oder weniger freiwillig auf 53,5 Prozent der ausstehenden Schuld.

Doch während ausländische Banken diese Verluste in der Regel finanziell verdauen konnten, standen die griechischen Finanzinstitute, die auch verhältnismäßig mehr griechische Anleihen in den Büchern hatten, vor dem Kollaps. In Summe wurden daher seit Februar 75 Milliarden Euro in den griechischen Bankensektor gepumpt, um ihn zu stabilisieren.

Der Schuldenschnitt hatte auch zur Folge, dass die Laufzeit des Großteils der von privaten Gläubigern gehaltenen Anleihen bis 2042 verlängert wurde. Rückzahlungen für einst gewährte Kredite erhalten derzeit also vor allem staatliche Gläubiger, wie die EZB, die beim Schuldenschnitt nicht mitgemacht haben. Die EZB hat in den vergangenen Jahren rund 55Milliarden griechische Anleihen erworben, um den Staat zu stützen. An sie und andere meist staatliche Gläubiger fließen von den nun gewährten Hilfsgeldern etwa 3,3 Milliarden Euro. Laut Experten kein schlechtes Geschäft für die EZB, da sie die Anleihen einst deutlich unter Wert gekauft hat.

Langfristig dürfte die Griechenland-Hilfe aber natürlich vor allem Kosten verursachen, da kaum jemand annimmt, dass das Land seine Schulden bei den anderen Euro-Partnern komplett zurückzahlen kann. Und bei einem neuen Schuldenschnitt könnten sich die staatlichen Gläubiger auch nicht mehr schadlos halten.

Bis es so weit ist, werden laut Planungen der EU-Kommission aber weiterhin zwischen zwei und zwölf Milliarden Euro pro Quartal an Hilfen fließen. Da die Bankenstützung mit der jetzigen Zahlung abgeschlossen sein soll, wird das Geld künftig vor allem für Zinsen und die Rückzahlung „nicht geschnittener“ Anleihen benötigt.

Originalartikel Die Presse

Der „letzte Christ“ von Damaskus

Veröffentlicht: Oktober 29, 2012 in Krieg
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Christliche Minderheit in Syrien fürchtet Fall von Präsident Assad

Bis vor kurzem war Jaramana, ein Vorort im Osten von Damaskus, einer der sichersten Bezirke der Stadt. Die vorwiegend christliche und drusische Bevölkerung, die dort lebt, steht dem bewaffneten Aufstand skeptisch gegenüber, die seit 2003 hierher geflüchteten Irakis ebenso.

Doch in den vergangenen Wochen hat das Image des sicheren Hafens im Osten der Stadt gelitten. Ende August starben insgesamt 14 Menschen bei Autobombenanschlägen. Anfang September kamen fünf Menschen bei einem Bombenanschlag ums Leben, 30 wurden zum Teil schwer verletzt. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana machte „bewaffnete terroristische Kräfte“ für die Anschläge verantwortlich, die syrische Opposition argwöhnte, dass das Regime die Bomben selbst gelegt haben könnte, um die Terrorakte den Rebellen in die Schuhe zu schieben.

Schmelztiegel Syriens

Die Bewohner des Bezirks schwärmen von ihrem Viertel: Die hier lebenden Drusen gelten als weltoffen und tolerant, das Zusammenleben mit den Christen (eine andere wichtige Minderheit in Syrien) gilt als friktionsfrei, ja geradezu herzlich. Vor zehn Jahren lebten rund 30.000 Menschen in dem kleinen Städtchen namens Jaramana, heute ist der Vorort auf die Größe einer kleinen Großstadt mit 120.000 bis 400.000 Bewohnern angeschwollen. Vor allem die Flüchtlingsströme aus dem Irak haben Jaramana seit 2003 aus allen Nähten platzen lassen.

Die Bombenanschläge der vergangenen Wochen haben die Menschen in Jaramana aber daran erinnert, dass der Bürgerkrieg längst in Damaskus, ihrer Stadt, angekommen ist und auch den weltoffenen, modernen Stadtteil nicht verschont. „Das war in Jaramana nicht zu erwarten“, sagt der 23-jährige Obst- und Gemüsehändler Masser Mhanna, „Jaramana ist hundertprozentig gegen die Opposition, darum haben sie uns zur Zielscheibe gemacht.“ Seither kann man nicht mehr ohne Angst an der Straße stehen. „Jedes Auto, das hier steht, könnte Al-Potates (Kartoffeln) geladen haben.“ Al-Potates: Damit meint Mhanna nicht jene großgewachsenen hellbraunen Knollen, die er um rund 40 Cent das Kilo in seinem Laden verkauft, sondern „Kartoffel“ ist die scherzhaft-verniedlichende Bezeichnung für Sprengsätze.

Der Konflikt hat die Lebensmittelpreise um rund 20 Prozent steigen lassen: Ein Kilo Äpfel kostet im Laden von Herrn Mhanna jetzt 60 syrische Pfund, also rund einen Euro. Ein Kilo Weintrauben: 45 syrische Pfund also etwas mehr als 50 Cent. Bei Importgütern sind die Preissteigerungen noch dramatischer, denn der seit März 2011 um 23 Prozent gegenüber dem Euro (30 Prozent gegenüber dem Dollar) gefallene Wechselkurs des syrischen Pfunds verteuert alle Waren, die mit ausländischer Währung bezahlt werden müssen: Für einen US-Dollar musste man nämlich 45 Pfund auf den Tisch der Wechselstube legen, heute muss man 70 Pfund hinblättern.

Originalartikel Wiener Zeitung

Europäische Union erhält Friedensnobelpreis

Veröffentlicht: Oktober 29, 2012 in Uncategorized
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Die Europäische Union erhält in diesem Jahr den Friedensnobelpreis. Das gab das Nobelkomitee in Oslo bekannt. In der Begründung wurde ausdrücklich Bezug auf die derzeitige Wirtschaftskrise genommen.

Die Europäische Union erhält in diesem Jahr den Friedensnobelpreis. Der Leiter des norwegischen Nobelkomitees, Thorbjörn Jagland, begründete diese Entscheidung damit, dass die EU in den vergangenen sechs Jahrzehnten entscheidend zur friedlichen Entwicklung in Europa beigetragen habe. Das fünfköpfige Komitee hob in seiner Begründung die deutsch-französische Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg als herausragendes Ergebnis der europäischen Integration heraus. „Heute ist Krieg zwischen Deutschland und Frankreich undenkbar“, hieß es.

Als weitere Leistungen der EU nannte das Komitee die Förderung der demokratischen Entwicklung in Südeuropa nach dem Ende der Diktaturen in Spanien, Portugal und Griechenland in den siebziger Jahren und die Integration der ostmitteleuropäischen Staaten nach dem Ende des Kommunismus im Jahr 1989. Zudem fördere die Beitrittsperspektive für die Balkanstaaten die Versöhnung nach den Kriegen der neunziger Jahre.

Bezug auf die Krise

In der Begründung des Komitees wird ausdrücklich Bezug auf die derzeitigen wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten in der EU genommen. Die Entscheidung solle den Blick auf die wichtigsten Ergebnisse der EU lenken: Sie habe dazu beigetragen, Europa von einem „Kontinent des Kriegs zu einem Kontinent des Friedens“ umzuformen. „Dies ist ein historischer Preis sowohl in langfristiger wie in aktueller Perspektive“, sagte Jagland.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bezeichnete die Entscheidung als „große Ehre“. Er sagte: „Der Preis ist eine wichtige Botschaft für Europa: dass die EU etwas sehr Wertvolles ist, dass wir sie zum Wohle der Europäer und der ganzen Welt pflegen sollten.“ Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), sieht die Zuerkennung des Preises auch als Aufforderung an, die Vertiefung der EU voranzutreiben, besonders, was eine Umverteilung unter sozialen Gesichtspunkten betrifft. „Wir müssen weitermachen und Europa die Kraft geben, Gerechtigkeit nach innen zu verwirklichen“, sagte Schulz in Wien.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einer „wunderbaren Entscheidung“. Sie sage oft, „dass der Euro mehr ist als nur eine Währung. Wir sollten gerade auch in diesen Wochen und Monaten, in denen wir für die Stärkung des Euro arbeiten, genau dies nicht vergessen.“ Es gehe am Ende dabei auch um die ursprüngliche Idee von Europa als Friedens- und Wertegemeinschaft.

In einer Stellungnahme von Altkanzler Helmut Kohl (CDU) ist von einer „klugen und weitsichtigen Entscheidung“ die Rede. Kohl war wegen seiner Verdienste um die Deutsche Einheit und Europa in den vergangenen Jahren immer wieder selbst für den Preis vorgeschlagen worden. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sprach von einem „starken Signal in einer schwierigen Zeit“. Die Auszeichnung sei „ein Aufruf an uns alle, noch mehr Mut zur europäischen Gemeinsamkeit zu haben“. In Deutschland äußerte nur der Linke-Fraktionsvorsitzende Gysi Kritik: „Die EU ist gerade dabei, sich aufzurüsten, weil sie außerhalb Europas an Kriegen teilnehmen will.“ Der tschechische Präsident Václav Klaus ließ einen Sprecher mitteilen, er habe die Nachricht für einen „Scherz“ gehalten und könne sie nicht glauben.

Kritik in Norwegen

Auch in Norwegen wurde die Entscheidung des Komitees kritisiert, dessen Mitglieder vom norwegischen Parlament bestimmt werden. Audun Lysbakken, der Vorsitzende der EU-kritischen Linkssozialisten, warf dem sozialdemokratischen Komitee-Chef Jagland unfeine Methoden vor. Jagland, der als Befürworter eines norwegischen EU-Beitritts gilt, habe die Entscheidung offenbar durchgesetzt, während die linkssozialistische Vertreterin wegen Krankheit durch den nicht zur Partei gehörenden lutherischen Altbischof Gunnar Stålsett vertreten wurde. Die Norweger haben sich 1972 und 1994 in Referenden gegen eine EU-Mitgliedschaft ihres Landes ausgesprochen. Ministerpräsident Jens Stoltenberg sagte, ein Beitritt Norwegens zur EU stehe „nicht auf der Tagesordnung“. Es sei möglich, „der EU zu diesem Friedenspreis zu gratulieren, ihre Rolle als Friedensstifter anzuerkennen und dies von der Frage der Beziehung zwischen Norwegen und der EU zu trennen“.

Wer den Preis am 10. Dezember in Oslo für die EU entgegennehmen soll, ist noch unklar. Das Nobelkomitee hat nach Medienberichten vorgeschlagen, den Preis an Kommissionspräsident Barroso als Vertreter der Union und Ratspräsident Herman Van Rompuy als Vertreter der Mitgliedstaaten zu übergeben. Parlamentspräsident Martin Schulz sprach sich dafür aus, nur Barroso nach Oslo zu schicken. Die Union als Ganzes habe den Preis erhalten, nicht die Länder, sagte Schulz zur Begründung. In Berlin gab es hingegen Überlegungen, ob nicht auch einzelne Staats- und Regierungschefs an der Preisverleihung teilnehmen sollten, darunter auch die Kanzlerin.

2011 hatten drei Frauen den Preis erhalten: die Demokratie-Aktivistin Tawakkul Karman aus dem Jemen, die liberianische Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf und die ebenfalls aus Liberia stammenden Leymah Gbowee.

Originalartikel Frankfurter Allgemeine

Erstmals spricht ein Mitglied des EZB-Direktoriums öffentlich von einer Hyperinflation. Auch wenn er sagt, dass mit einer solchen nicht zu rechnen sei – allein die Erwähnung des geldpolitischen Worst Case verdient Beachtung. Zuvor hatte die Europäische Statistikbehörde einen überraschenden Anstieg der Inflation auf 2,7 Prozent gemeldet.

In der EZB hat Jörg Asmussen, enger Vertrauter des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, stets für den Kurs von Mario Draghi gestimmt. Nun verteidigte Asmussen die Politik der EZB bei einer Bankenkonferenz in Berlin und sagte, das unbegrenzte Ankaufen von Staatsanleihen sei eine notwendige Maßnahme zur Stabilisierung der Bond-Märkte. Asmussen hatte mit seiner Haltung Bundesbank-Chef Jens Weidmann im Regen stehen lassen.

Asmussen überraschte jedoch mit einer weiteren Aussage: Nur wenige Stunden, nachdem die europäischen Inflationszahlen gemeldet wurden, bezog Asmussen zum Thema der Geldentwertung Stellung. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass Asmussen vor zuviel Angst vor Inflation gewarnt habe – eine Angst, die vor allem in Deutschland aus den Erfahrungen der Geschichte weit verbreitet ist. Sogar der Chef der Deutschen Bank, Anshu Jain, hatte erst kürzlich gesagt, eine höhere Inflation sei der Preis für die Euro-Rettung.

Asmussen ließ jedoch aufhorchen, weil er – eigentlich ohne Not – noch einen drauflegte, auch wenn freilich in eine Beschwichtigung gekleidet: Er sagte: „Furcht vor galoppierender Inflation hilft nicht. Es gibt keine Abstriche an unserer Politik der Geldwertstabilität.“ Diese Furcht sei unbegründet, weil die EZB gegensteuern werde, wenn sich die inflationären Tendenzen verstärken sollten. Da gäbe es, so Asmussen, „kein Pardon“. Nach Asmussens Beschreibung horten die Banken zwar Geld, geben dieses jedoch nicht in den Geldkreislauf weiter.

Die Tatsache, dass Asmussen nicht einfach von einer Inflation, sondern von einer „galoppierende Inflation“ spricht, ist bemerkenswert: Bisher war es Sprachregelung der EZB gewesen, dass man geradezu keine Inflation habe, dass die von der EZB vorgegebenen Korridore stets eingehalten werden. Dass er nun diese doch dramatische Steigerung ausdrücklich erwähnt, könnte darauf hindeuten, dass sich die Euro-Retter in der EZB zumindest der öffentlichen Ängste in Deutschland bewusst werden. Wenn aber ein EZB-Direktor eine galoppierende Inflation – das bisher völlig Undenkbare – in den Mund nimmt, ist eine neue Qualität in der Diskussion.

Im Kontext der politischen Praxis ist die Aussage von Bedeutung. Euro Gruppen Chef Jean Claude Juncker hatte erklärt, dass es, wenn es ernst werde, notwendig sei zu lügen, und dass man bei der EU gerne Veränderungen dadurch herbeiführe, dass man etwas in den Raum stelle und dann warte, was passiert.

Möglicherweise war Asmussens Spruch in diesem Zusammenhang Kalkül: Wenn es zu einer moderaten Inflation kommt, tut das den deutschen Sparern zwar auch schon weh, aber es ist immerhin weniger schlimm als eine „galoppierende Inflation“.

Zur Erinnerung: Mephisto sagt im Faust zum König, als dieser ihm befiehlt, Geld zu beschaffen: „Ich schaffe, was ihr wollt, und schaffe mehr.“ Im Zauberlehrling hat uns der geniale Finanz-Prophet Goethe von einem erzählt, der am Ende bekennen muss: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“

Originalartikel Deutsche Mittelstands Nachrichten

In der Euro-Krise herrscht trügerische Stille: Die EZB hat die Bazooka rausgeholt, der Rettungsfonds ESM hat seine Arbeit aufgenommen und die Bankenunion scheint nahe. In Wirklichkeit aber droht eine große Gefahr – nicht aus Griechenland, sondern aus Spanien.

Nach dem Trommelfeuer der Europäischen Zentralbank ist Stille eingekehrt. Die Krise hat erneut eine akute Phase hinter sich gelassen und ist wieder chronisch. Der neue Rettungsschirm ESM hat seine Arbeit aufgenommen. Über eine Bankenunion wird verhandelt. Im November wird Spanien seinen Hilfsantrag stellen. In Italien sammelt sich das Establishment hinter Mario Monti. Bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds in Tokio treten die Europäer zum ersten Mal seit langem wieder mit etwas Selbstbewusstsein auf. Ist die Krise vorbei? Können wir uns jetzt ernsteren Themen widmen – etwa den Redner-Gebühren von Politikern?

Es gibt in der Tat eine gute Nachricht: Die EZB hat mit ihrem Aufkaufprogramm für Staatsanleihen das so genannte Randrisiko beiseite geräumt. Investoren hatten im Sommer den Euro-Raum fluchtartig verlassen, weil sie eine kleine, aber deutliche Wahrscheinlichkeit eines Euro-Zusammenbruchs sahen. Das tun sie jetzt nicht mehr. Eine akute Gefahr für den Euro-Raum ist also gebannt.

Was sich aber nicht geändert hat, sind die ökonomischen Fakten. Das Land, das mir am meisten Sorgen macht, ist nicht einmal Griechenland, sondern Spanien. In Griechenland wird es zum großen Schuldenschnitt kommen. Das wird erst nach der Bundestagswahl passieren. Wenn das aber geschieht, dann ist die akute Krise in Griechenland damit auch vorbei. Denn in Griechenland ist der Staat zwar hoffnungslos pleite, aber der Privatsektor ist zumindest nicht massiv überschuldet. Die griechische Industrie leidet auch nicht annähernd so stark unter den Wettbewerbsproblemen, die man in Spanien und Italien kennt. Griechenland muss sich selbst und seine Wirtschaft komplett neu erfinden. Wenn das passiert, und wenn man die Staatsschulden auf einem erträglichen Niveau stabilisiert, dann sollte es wieder aufwärts gehen.

Nicht so in Spanien. Ein Schuldenschnitt für den spanischen Staat würde wenig ändern. Das Problem dort liegt in einer hoffnungslosen Überschuldung des Privatsektors und einer Verstopfung aller Kanäle der wirtschaftlichen Anpassung.

Auf die spanischen Banken kommen enorme Risiken zu

Man vergisst manchmal, was in Spanien im letzten Jahrzehnt geschehen ist: Der von deutschen Banken finanzierte Bauboom dort stellte alles an vorangegangen Blasen in den Schatten, auch unsere eigene Wiedervereinigungsblase. Selbst die auf Pump finanzierte amerikanische Hypothekenblase erscheint dagegen klein. Spaniens private Verschuldung hat zuletzt eine Höhe von 235 Prozent des Volkseinkommens erreicht. Und auf die spanischen Banken kommen noch viele Risiken zu – ein Vielfaches dessen, was heute offiziell veranschlagt wird. Die anvisierte Rekapitalisierung mit 60 Milliarden Euro ist ein Witz angesichts der Risiken, denen die spanischen Banken ausgesetzt sind. Auch der IWF betonte in seinem Wirtschaftsausblick, dass man aus der Schuldenfalle ohne eine Bereinigung der Bankbilanzen nur schwerlich entweichen kann.

Man vergleiche einmal die Situation mit den USA, wo sich der Privatsektor ebenfalls überschuldete: Die Amerikaner sind anpassungsfähiger als die Europäer, weil sie eine viel aktivere Wirtschaftspolitik betreiben. Zu den Handlungen der Obama-Administration gehörte die Zwangsrekapitalisierung der Banken. Die Notenbank senkte nicht nur die Zinsen auf nahezu null. Sie kaufte außerdem aggressiv Anleihen auf, gleich zu Anfang der Krise. Geldmenge und Kredite wachsen jetzt wieder langsam. Auch das amerikanische Haushaltsdefizit geht langsam runter, weil ein moderates Wachstum zurückgekehrt ist. Die Häuserpreise sind wieder fast auf Vorkrisenniveau. In Spanien war die Blase größer, und das Bankensystem hat höhere Risiken auf sich genommen. Gleichzeitig kann Spanien nicht abwerten. Geldmenge und Kreditvergabe fallen weiterhin. Der spanische Staat spart im Haushalt und wird es auf absehbare Zeit auch weiterhin tun.

Man spart und die Schuldenquote steigt

In seinem Weltwirtschaftsausblick machte der IWF eine wichtige Bemerkung: Die Sparprogramme haben heute einen größeren Effekt als früher. Man nennt den Effekt der Haushaltspolitik auf die Wirtschaftsleistung einen Multiplikator. In Europa ging man früher von einem Multiplikator von 0,5 aus. Das heißt: Wenn der Staat eine Milliarde spart, dann verringert sich das Volkseinkommen nur um eine halbe Milliarde. Der IWF vermutet aber, dass der Multiplikator mittlerweile in einer Bandbreite von 0,9 und 1,7 liegt. Wenn er größer ist als eins, heißt das, die Wirtschaft schrumpft insgesamt mehr als das Haushaltsdefizit. Genau das zeigt die europäische Erfahrung der vergangenen Jahre: Man spart und die Schuldenquote steigt.

Was wird jetzt geschehen? Ich sehe keine Änderung der Politik und auch keine Änderungen der äußeren Umstände. Im besten Fall wird der spanische Premierminister Mariano Rajoy sein Katz-und-Maus-Spiel mit der Europäischen Union beenden und sich zu einem Hilfsprogramm durchringen – wegen der Wahlen in Galizien und Katalonien wahrscheinlich erst im November. Damit ist aber nicht viel gewonnen. Das verringert bestenfalls die Finanzierungskosten des spanischen Staates – an der negativen ökonomischen Dynamik ändert es nichts.

Ich sehe nur zwei Wege aus dem Dilemma: Entweder, Spanien und notgedrungen auch Portugal verlassen den Euro, oder die Euro-Länder entschulden den spanischen Privatsektor. Letzteres würde den Euro-Raum ökonomisch überfordern, und politische Mehrheiten gibt es dafür auch nicht. Und damit wären wir wieder bei den Randrisiken.

Originalartikel Der Spiegel

Wie schnell und günstig Wolfgang Fellner seinen Garten in Döblings Weinbergen um ein Stück öffentliches Grünland erweitern konnte. Und was Werner Faymann damit zu tun hat.

Hier, wo die Wege so schmal werden, dass kein Touristenbus sie mehr befahren kann, hier beginnt das wilde Grinzing. Unter den Villen der Reichen verstecken sich steile Weingärten, knorrige Obstbäume und gurgelnde Bächlein. Am gegenüberliegenden Hügel tönt Gelächter von einem versteckten Heurigen. Schon Wolfgang Amadeus Mozart hat die Gegend geliebt: “Das ist eine Stunde weit von Wien, wo ich wohne”, schrieb er im Jahr 1781 an seinen Vater, “es heißt Reisenberg und es ist hier sehr angenehm.”

Heute residiert hier ein anderer Wolferl. Österreich Herausgeber Wolfgang Fellner besitzt in Wiens Weinbergen ein prächtiges Grundstück samt schmuckem Häuschen. Die Gegend rund um die Himmelstraße ist nur etwas für Topreiche. Für ein Häuschen und einen Grund mit Blick über Wien kann man schon zwei Millionen löhnen.

Die Sicht wird Fellner so bald niemand verstellen. Denn unter seiner Villa hat sich der heimische Medienmogul einen großen Garten angelegt. Der ist jetzt um einen Streifen größer geworden. Die Gemeinde Wien – vertreten durch den SPÖ-Stadtrat Werner Faymann – hat Fellner ein 2224 Quadratmeter großes Stück Grünland verpachtet und dann verkauft. Der Streifen ist fast so groß wie die Kleingartensiedlung, die an Fellners Grundstück anschließt. Nun darf sie nur noch der News-Chef betreten.

Alles war rechtens. SPÖ und ÖVP haben im Gemeinderat für, die Grünen und Blauen gegen den Deal gestimmt. Die FPÖ und auch so mancher Rathausbeamte finden den Deal ein wenig seltsam. “Normalerweise verkauft die Stadt keinen öffentlichen Grund in dieser Gegend. Schon gar kein Grünland. Wer so etwas kaufen will, muss der Stadt darüber hinaus ein Tauschgrundstück anbieten”, erzählt der FPÖ-Gemeinderat Josef Wagner. Er verweist auf die Mühen eines Unternehmens, das von der Gemeinde monatelang hingehalten wurde, weil es kein passendes Land zum Abtauschen fand. Wagner: “Es drängt sich der Verdacht der Freunderlwirtschaft auf.”

Wolfgang Fellner weist solche Vorwürfe zurück. Das Vierfache des sonst üblichen Preises habe er bezahlt. Auch ein Tauschgrundstück habe er angeboten, doch die Gemeinde wollte lieber Geld sehen: “Ich hab für diese Gstättn den höchsten Preis bezahlt, den Wien je verrechnet hat. Aus diesem Ödland ist jede Menge Ungeziefer in meinen Garten gekommen.” Das Büro Faymann verlautet: “Dieses Grünland ist für die Öffentlichkeit völlig wertlos. Deshalb haben wir es verkauft.”

Der Preis für den als “Streuobstwiese” gewidmeten Grund im Döblinger Villenviertel ist günstig. Fellner pachtete den Garten zunächst im Juli 2000 um rund acht Cent pro Quadratmeter. So viel zahlen eben Wiens Weinbauern. Drei Jahre später durfte Fellner den Garten kaufen. Das ging ganz unbürokratisch: “Da keine landwirtschaftliche Nutzung vorliegt, sondern die Grundflächen einer gefälligen Ergänzung der Freiflächen des angrenzenden Eigengrundes dienen, werden als Richtwert rd. € 40/m2 genannt”, schreibt ein Sachverständiger der Stadt. Ursprünglich sollten es überhaupt nur zehn Euro sein. Von bürokratischem Schnickschnack wird abgesehen. “Nach längeren Gesprächen”, so hält ein Schreiben von Fellners Advokaten fest, “hat uns die MA 49 nun mitgeteilt, dass in diesem Fall ein direkter Verkauf stattfinden und daher der Ankauf eines Tauschgrundstückes unterbleiben kann”.

Großer Wert, kleiner Preis? “Wo ist das Problem, es ist ja nur Grünland”, sagt Fellner, “ich pflanze dort Obst, ich habe ein reines Gewissen.”

Originalartikel Klenks Watchblog

Spitzenpolitik gilt als einsames, herzloses Geschäft. Doch die Wiener SPÖ ist eine verschworene Truppe mit hohem Kuschelfaktor. Zwischen den führenden Genossen bestehen zahlreiche private Bande.

Das Privatfernsehen macht alles noch mühsamer: Dreimal musste Michael Häupl in diesem Wahlkampf an sogenannten Elefantenrunden teilnehmen, erst beim ORF, dann bei ATV, zuletzt bei Puls 4. Dreimal saß er mit seinen politischen Widersachern vor aufdringlichen Journalisten. Dreimal musste er sich Fragen gefallen lassen, die er im Normalbetrieb als Wiener Bürgermeister mit einem grantigen Knurren quittieren würde.

Häupl war bei all diesen Veranstaltungen erkennbar schlecht gelaunt. Gelegentlich konnte man als Zuseher durchaus den Eindruck gewinnen, er würde ein Gesprächsthema gern mit einem flotten „Habt’s mich gern“ beenden. Wer so lange absolut regiert, verliert wohl irgendwann die Geduld für ausufernde Diskussionen.

Im Rathaus besteht dafür keine Notwendigkeit. Die Wiener SPÖ hat nicht nur keine ernst zu nehmenden politischen Gegner, sie ist auch als Partei ein besonders verschworener Haufen. Die meisten Proponenten kennen einander seit Jahrzehnten; unberechenbare Quereinsteiger, mit denen man sich herumärgern müsste, gibt es praktisch nicht. Unter den führenden Genossen bestehen zahlreiche private Bande, von der Liebesbeziehung bis zur engen Verwandtschaft. Der Traum von der Partei als Familie wurde nirgends so gründlich realisiert wie im Rathaus der Bundeshauptstadt.

Geschlossene Gesellschaft

Ein Blick auf die (privaten) Biografien der Stadträte zeigt, wie kuschelig es in der Politik zugehen kann: Bürgermeister Michael Häupl war in jungen Jahre der Lebensgefährte von Vizebürgermeisterin Renate Brauner. Man trennte sich zwar, blieb aber eng befreundet. Auf wenige Menschen kann sich Häupl so blind verlassen wie auf seine Stellvertreterin.

Die Stadträte Christian Oxonitsch und Ulli Sima waren bis vor zwei Jahren verheiratet. Ulli Sima ist jetzt mit Josef Thon zusammen, dem Leiter der MA 48 – für die sie politisch verantwortlich zeichnet.

Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely wiederum kann im Rathaus auf echte Blutsbande zählen. Ihre Schwester Tanja wurde vor etwa eineinhalb Jahren zur stellvertretenden Klubchefin der SPÖ gekürt. Auch Wehselys Kontakte in Richtung Bundespolitik könnten kaum besser sein: Ihr Lebensgefährte heißt Andreas Schieder, heute Finanzstaatssekretär und früher Gemeinderat in Wien. Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny erfreut sich ebenfalls noch eines Außenpostens im Gemeinderat – dort hat seine Frau Sonja Kato ein Mandat.

Als Eva-Maria Hatzl, Ehefrau des ehemaligen Landtagspräsidenten Johann Hatzl, vor einem Jahr in den Gemeinderat berufen wurde, entfleuchte selbst der braven Wiener ÖVP leise Kritik. Das Mandat sei wohl so etwas wie eine „Familien-Erbpacht“, murmelte VP-Geschäftsführer Norbert Walter.

Dabei ging es in der Stadtregierung früher sogar noch eine Spur inniger zu. Der heutige Bundeskanzler Werner Faymann war lange Wohnbaustadtrat, seine Frau Martina Ludwig sitzt im Gemeinderat. Auch Grete Laska, im Vorjahr pensionierte Stadträtin, musste sich in der Kommunalpolitik nicht einsam fühlen. Ihr Ehemann Helmut ist Geschäftsführer der A.W.H.-Beteiligungsgesellschaft sowie des Verbands Wiener Arbeiterheime – beide in Besitz der Stadt Wien.

Wie der Vater, so der Sohn

Liebe am Arbeitsplatz ist natürlich keine Spezialität der Wiener SPÖ. Wo Menschen mit annähernd gleichen Interessen sehr viel Zeit miteinander verbringen, lässt sich heftiges Knistern oft nicht vermeiden. Doch das Beziehungsgeflecht unter den führenden Wiener Genossen ist schon besorgniserregend dicht geworden. Wo Karriere und Privatleben so perfekt harmonieren, leidet die Optik. Es entstand der Eindruck einer geschlossenen Gesellschaft, die gute Jobs nur noch intern vergibt.

Feststellen lässt sich außerdem ein für Sozialdemokraten untypischer Hang zur Dynastiebildung. Familie Schieder etwa betreibt die Staatskunst gleichsam in direkter Erbfolge. Peter Schieder, heute 69, war Vorsitzender der sozialistischen Jugend, Stadtrat in Wien und insgesamt 25 Jahre lang Abgeordneter zum Nationalrat. Sein Sohn Andreas war Vizepräsident der sozialistischen Jugendinternationale, wurde dann Landtagsabgeordneter in Wien und ist jetzt Staatssekretär. Erfreulich unbürokratisch ging der Führungswechsel in der Bezirksorganisation Penzing vonstatten: Der Sohn löste 2002 einfach den Papa ab.

Gerüchten zufolge könnte Andreas Schieder nach der Landtagswahl Finanzstadtrat in Wien werden. Seine Lebensgefährtin Sonja Wehsely würde im Gegenzug, so wird gemunkelt, das Gesundheitsministerium übernehmen. Auf diese Art bliebe dann wenigstens alles in der Familie.

Enge Vertraute

Im rauen politischen Alltag kann der Wunsch nach vertrauten Gesichtern im eigenen Umfeld offenbar übermächtig werden – und das gilt nicht nur im Wiener Rathaus. Vor Kurzem bestellte die SPÖ im Parlament eine neue Klubdirektorin. Sie heißt Marion Knapp und ist die Lebensgefährtin von Klubchef Josef Cap.

Originalartikel Die Presse